Dienstag, 8. Juli 2014

WDR-Beitrag: Leben mit ADHS

Leider wird im Fernsehen oft das negative ADHS-Klischee fortgesetzt. Doch ab und zu gibt es auch sehr schöne und vorurteilsfreie Beiträge, so wie diesen hier vom WDR:

Leben mit ADHS (Sendung vom 03.07.2014)



Montag, 7. Juli 2014

ADHS-Diagnose bald per Hirnscan?

Es ist kein Geheimnis, dass die Diagnostik für ADHS überall sehr unterschiedlich gemacht wird. Die Ärzte, die sich viel Zeit nehmen, setzen neben den typischen Fragebögen auf Konzentrationstests, Verhaltensexperimente, schauen sich die Zeugnisse der Betroffenen an, stellen Fragen zum bisherigen Lebenslauf und sprechen mit den Angehörigen. Außerdem veranlassen sie eine Blutuntersuchung, um körperliche Erkrankungen auszuschließen und um zu schauen, ob das Herz-Kreislauf-System fit genug für den Einsatz von ADHS-Medikamenten wäre. Leider sind jedoch die wenigsten Ärzte so gründlich und die resultierenden Diagnosen so verlässlich. Wegen mangelder Zeit und Interesse gibt es jedes Jahr viele Fehldiagnosen und dadurch auch viele Kinder, die unnötig Ritalin und Co. zu sich nehmen. Das soll sich in Zukunft ändern.

Schon lange sind Wissenschaftler auf der Suche nach sogenannten Biomarkern, an denen sich ADHS objektiv erkennen lässt. Nun hat ein US-amerikanisches Forscher-Team eine solchen entdeckt. In einer Studie fanden sie heraus, dass im Gehirn von ADHS-Kindern, die keine Medikamente nehmen, deutlich weniger Eisen vorhanden ist als im Gehirn gesunder Kinder. Erkannt haben die Forscher diesen Unterschied im Hirnscan (MRT).

Nun soll dieses Ergebnis an einer größeren Gruppe von Kindern und Jugendlichen überprüft werden. Wenn es sich bestätigt, kann der Hirnscan in den nächsten Jahren in die ADHS-Diagnostik mit aufgenommen werden und die Zeit der vielen Fehldiagnosen wäre vorbei.

Freitag, 13. Juni 2014

Haben Jungs öfter ADHS als Mädchen?

Wenn man sich die geschlechtsspezifische Verteilung von ADHS in Studien und Büchern anschaut, findet man Aussagen wie "Jungen sind drei Mal häufiger betroffen als Mädchen", "Das Verhältnis von betroffenen Jungen gegenüber Mädchen ist 6:1" usw. Ob Jungen nun drei Mal, vier Mal, sechs Mal oder gar neun Mal häufiger ADHS haben, darüber herrscht keine Einigkeit. Wohl aber darüber, dass sie insgesamt öfter betroffen sind als Mädchen. Aber wodurch kommt dieser (scheinbare) Unterschied zustande?

An den Genen kann es nicht liegen. Denn die Gene, die sehr wahrscheinlich an der Entstehung von ADHS beteiligt sind, liegen nicht auf den Geschlechtschromosomen.

Auch die Umwelteinflüsse können nicht Schuld sein, da diese für Jungen und Mädchen nicht grundlegend unterschiedlich sind. Dass einige in einer besseren Umgebung (familiäres Umfeld, soziale Situation, Schule usw.) aufwachsen als andere, liegt nicht an ihrem Geschlecht.

Forscher diskutieren darüber, ob ADHS bei Jungen und Mädchen unterschiedlich ausgeprägt ist und anders verläuft, und dadurch die verschiedenen Diagnoseraten zustande kommen. Dieser Ansatz lässt sich durch einige Studien und besser noch durch Beobachtung belegen.

Während bei Jungs mit ADHS sehr oft Hyperaktivität und Impulsivität im Vordergrund stehen, sind betroffene Mädchen oft die "Träumer". Leicht ablenkbar und unkonzentriert sind beide, jedoch fallen die Jungs schneller auf mit ihrem Verhalten. Wenn sie im Unterricht laut werden, herumlaufen, Streiche spielen und die ganze Klasse vom Arbeiten abhalten, steht der Lehrer vor einer Herausforderung. Nicht selten werden dann die Eltern zum Gespräch eingeladen und gebeten, mit ihrem Kind einmal beim Kinderpsychiater vorbei zu schauen. Weil das verträumte Mädchen nicht weiter auffällt und niemanden stört, bleibt ihr diese Prozedur (vorerst) erspart.

Jungen landen also viel häufiger beim Kinderpsychiater als Mädchen und werden deshalb auch öfter diagnostiziert. Durch einen Mangel an Zeit, Wissen und Interesse auf Seiten einiger Ärzte kommt es aber auch immer wieder zu leichtfertigen und falschen Diagnosen, was die Zahlen unnötig in Höhe treibt.

Was leider meist nicht bedacht wird, ist das Jungen und Mädchen generell ein anderes Naturell haben. Schon evolutionär bedingt, sind Jungs und Männer meist die Aktiveren, Mädchen und Frauen dagegen häuslicher und sozialer. Ausnahmen bestätigen die Regel. Im Großteil der Menschheitsgeschichte war es üblich, dass der Mann die Welt erobert, in Kämpfen besteht, seine Familie ernährt und zuhause das Sagen hat. Auch wenn unsere moderne Welt (zumindest in unseren Breiten) nicht mehr nach diesen Mustern funktioniert, steckt die alte Geschichte dennoch in unseren Genen. Und auch heute wollen Männer sich noch beweisen, auf eine andere Art als Frauen das tun. Sie wollen imponieren und Stärke zeigen, und gehen dafür viel eher Risiken ein als Frauen. Das gilt natürlich nicht nur für ADHSler. Viele Verhaltensweisen eines "typischen Machos" decken sich mit den ADHS-Symptomen. Aber dennoch hat nicht jeder Macho ADHS. Schließlich spielt auch das männliche Geschlechtshormon Testosteron eine nicht unbedeutende Rolle für das Verhalten.

Aufgrund dieser vielen Faktoren, die das menschliche Verhalten beeinflussen, ist es wichtig, bei der Diagnosestellung sehr gründlich zu sein.

Interessanterweise ergab eine repräsentative Stichprobe aus Deutschland, dass die Häufigkeit von ADHS im Erwachsenenalter relativ ausgeglichen ist. Zwischen 18 und 64 Jahren sind demnach 4,8 % der Frauen und 4,6 % der Männer betroffen. Wie passt das mit den Daten der Kinder zusammen?

Es ist nachgewiesen, dass Frauen deutlich häufiger psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen als Männer. Während sie in der Schulzeit bei vorgegebenen Strukturen noch halbwegs gut "funktioniert" haben, bekommen viele Frauen mit ADHS später Probleme, ihr Leben zu organisieren. Arbeit, Haushalt, Kinder - alles muss irgendwie bewältigt werden. Einige Frauen rutschen dabei ab in Depressionen, Burn Out oder andere psychische Erkrankungen, bevor ein Psychiater als eigentliche Ursache ihr ADHS entdeckt (wenn er es denn überhaupt entdeckt).
 

Donnerstag, 12. Juni 2014

ADHS und körperliche Beschwerden

In meinem Beitrag über die Symptomvielfalt bei ADHS habe ich bereits angedeutet, dass die Betroffenen meist auch einige Komorbiditäten (andere Störungen und/oder Erkrankungen neben dem ADHS) haben. Im psychischen Bereich sind das vor allem Angst- und Zwangsstörungen, Lernstörungen und Störungen im Sozialverhalten. Außerdem besteht bei ADHSlern ein erhöhtes Risiko für Suchterkrankungen. Alkohol, Nikotin und Drogen werden nicht selten zur (unbewussten) Selbstmedikation eingesetzt.

Obwohl man es zunächst nicht vermutet, gibt es aber auch eine Häufung bestimmter körperlicher Beschwerden bei ADHSlern. Bei betroffenen Kindern und Jugendlichen sind das:

  • Erkrankungen der oberen Luftwege (40,1 % vs. 33,4 % bei Nicht-ADHSlern)
  • Hautkrankheiten (32,4 % vs. 25,5 %)
  • Erkrankungen der Ohren (31,1 % vs. 23,7 %)
  • Infektionskrankheiten (31,2 % vs. 25,9 %)

Bei Erwachsenen mit ADHS wird es noch deutlicher. Ihr Risiko für folgende körperliche Beschwerden ist jeweils ca. doppelt so hoch wie bei Nicht-Betroffenen:

  • Erkrankungen des Bewegungsapparates (Muskulatur und Skelett) (48,4 % vs. 21,6 % bei Nicht-ADHSlern)
  • Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts (41,1 % vs. 21,6 %)
  • Stoffwechselstörungen (36,5 % vs. 19,0 %)
  • Erkrankungen der oberen Luftwege (33,7% vs. 15,2 %)

Quelle: M. Schlander et al., Comorbidity Profiles of Children and Adolescents with ADHD - An Analysis Based on Administrative Data from Nordbaden (Germany), 2007

Mittwoch, 11. Juni 2014

Sherlock und Sheldon - zwei Asperger in der Fernsehwelt

Passend zum letzten Post gibt es jetzt noch zwei Anschauungsbeispiele für das Asperger Syndrom aus der Fernsehwelt:

Zum einen wäre da Sherlock Holmes, der altbekannte Meister-Detektiv, der in der BBC-Serie "Sherlock" wieder neu auflebt. Auch wenn er seine Fälle jetzt im modernen London des 21. Jahrhunderts löst, ist sein außergewöhnlicher Charakter noch immer der gleiche. Ob beabsichtigt oder nicht, trägt die Schöpfung von Arthur Conan Doyle viele typische Asperger Eigenschaften:

  • Sherlock hat Probleme mit sozialen Situationen und geht diesen daher meist aus dem Weg.
  • Er hat nur einen einzigen Freund, Dr. John Watson, der tolerant genug ist, seine Eigenarten zu ertragen.
  • Sherlock kann sich nicht andere hineinversetzen. Es fehlt ihm an Einfühlungsvermögen. Oft beleidigt er andere Menschen, ohne es zu merken.
  • Er ist sehr direkt und reagiert unangemessen auf die Probleme und Sorgen anderer. Dadurch wirkt er oft arrogant, rüpelhaft und egoistisch.
  • Sherlock selbst wirkt oft sehr unemotional, kühl und distanziert. Er zeigt seine Gefühle nur selten nach außen.
  • Er interessiert sich mehr für Fakten und spannende Fälle als für Menschen. Es geht ihm nicht nahe wenn jemand stirbt. Für Tote hat Sherlock eine besondere Leidenschaft.
  • Sein Spezialinteresse ist das Lösen von Fällen. Wenn er nachdenkt, darf ihn niemand dabei stören. Er ist extrem reizempfindlich.
  • Sherlock hat eine sehr schnelle Auffassungsgabe und entdeckt viele Details, die andere übersehen. Jede Situation betrachtet er in seinem speziellen Blickwinkel.
  • Wenn etwas nicht so klappt, wie er es will, reagiert Sherlock sehr impulsiv.

Einen kleinen Eindruck von Sherlocks Verhalten erhalten Sie im folgenden Video. Wie arrogant, uneinfühlsam und kühl er wirkt, wird besonders deutlich in den ersten 40 Sekunden sowie 1:33-2:11 Min., 3:30-3:40 Min., 4:50-5:00 Min., 6:08-6:27 Min. und 8:30-8:33 Min.:



Ein weiterer Fernseh-Charakter, der sich nach dem Asperger-Muster verhält, ist Sheldon Cooper aus der US-amerikanischen Serie The Big Bang Theory. Zwar hat der Serien-Produzent Chuck Lorre diesen Zusammenhang immer wieder verneint, dennoch sind die Parallen in Sheldons Verhalten und der Asperger Symptomatik offensichtlich:

  • Sheldon stellt für alles feste Regeln auf, an die sich sein Umfeld halten muss. Bsp.: Er legt eine Mitbewohnervereinbarung mit Leonard und eine Beziehungsrahmenvereinbarung mit Amy fest. Er bestimmt, an welchen Wochentagen was gegessen, gespielt und im Fernsehen geguckt wird. Er führt Kalender über seinen Stuhlgang. Er duldet keine Abweichungen von seinem Plan und droht mit Konsequenzen.
  • Sheldon hält sich extrem an Routine. Bsp.: Er will immer auf seinem Platz auf der Couch sitzen (hat diesen als bestmögliche Sitzgelegenheit im Zimmer berechnet). Er klopft immer 3 Mal bei Nachbarin Penny und ruft dabei ihren Namen.
  • Sheldon hasst Small-Talk, versteht keine nonverbale Kommunikation und keinen Sarkasmus.
  • Er meidet Körper- und oft auch Blickkontakt.
  • Sheldon wirkt häufig herablassend, ohne es zu bemerken. Er kann sich nicht in andere hineinversetzen.
  • Er interessiert sich nicht für die Gesprächsthemen, Sorgen und Probleme anderer.
  • Sheldon ist mit einem IQ von 187 der schlauste seiner kleinen Gruppe von Freunden und lässt das immer wieder heraushängen.

Überzeugen Sie sich selbst und behalten diese Punkte im Hinterkopf beim Schauen des folgenden Videos:



Dienstag, 10. Juni 2014

ADHS und Asperger Syndrom

Bestimmt ist einigen im letzten Video aufgefallen, dass der Schüler Joachim nicht nur ADHS hat, sondern auch vom Asperger Syndrom betroffen ist. Das Asperger Syndrom ist eine Sonderform des Autismus, von der ungefähr 0,5 bis 2 Prozent aller Menschen betroffen sind. Die Besonderheit: Die Symptome bei ADHS und Asperger stimmen zu ca. 75 Prozent überein. Joachim ist also keine Ausnahme, weil er beides hat. Neben den vielen Gemeinsamkeiten der beiden Störungen, gibt es aber auch einige deutliche Unterschiede:

  • Während sich ADHSler meist sehr gut in andere Menschen hineinversetzen können, gelingt das Asperger-Betroffenen kaum bis gar nicht. Sie können Mimik und Gestik nicht deuten, nicht "zwischen den Zeilen lesen" und soziale Situationen nicht richtig einschätzen.
  • Viele Menschen mit Asperger gehen sozialen Situationen aus dem Weg. Sie mögen weder Small-Talk noch Körperkontakt und haben oft Probleme damit, den Blickkontakt zu ihrem Gegenüber zu halten.
  • Weil es Asperger-Betroffenen an Einfühlungsvermögen fehlt, sind sie stets direkt und merken nicht, wenn sie andere Menschen damit verletzen. Sie sagen, was sie denken, und das nicht selten in unangemessenen Situationen. Dadurch wirken sie auf andere oft unhöflich, egoistisch oder sogar arrogant.
  • Während bei ADHSlern häufig das Chaos regiert, leben Menschen mit Asperger nach festen Strukturen und haben einen regelmäßigen Tagesablauf. Sie stehen meist zur gleichen Zeit auf, erledigen Dinge immer in derselben Reihenfolge und kommen nicht mit Veränderungen oder Abweichungen zurecht.
  • Asperger-Betroffene sind relativ unflexibel und nicht offen für Neues. Sie haben ein extremes Sicherheitsbedürfnis und Angst vor Kontrollverlust.
  • Während ADHSler meist wechselnde Interessen haben, gibt es bei Asperger-Betroffenen nur wenige Spezialinteressen, denen sie sehr intensiv nachgehen. 
  • ADHSler haben oft einen ausgeprägten Humor. Menschen mit Asperger tun sich dagegen schwer, Ironie und Sarkasmus zu verstehen. Sie nehmen alles wörtlich.

Gemeinsamkeiten zwischen ADHS und Asperger Syndrom:

  • unfähig, die Reize der Umgebung zu filtern -> Reizüberflutung
  • Impulsivität (besonders in Stress-Situationen)
  • oft überdurchschnittliche Intelligenz
  • benötigen präzise Anweisungen, die sie 1:1 so umsetzen können
  • können bei Interesse für eine Sache im Hyperfokus eine hohe Konzentration aufbauen
  • häufig koordinative Probleme ("Grobmotoriker")
  • wirken auf andere oft sonderbar, sind häufig Außenseiter

Trotz ihrer sozialen Defizite ist es Menschen mit Asperger Syndrom möglich, soziale Regeln zu erlernen und sich dadurch etwas "angemessener" zu verhalten. Dafür muss man ihnen feste Strukturen vorgeben, an die sie sich halten können. Auch wenn es meist nicht so wirkt, sind Asperger-Betroffene sehr emotional. Sie zeigen es nur nicht so sehr nach außen und haben deshalb auch Schwierigkeiten, emotionale Bindungen mit anderen aufzubauen.

Donnerstag, 5. Juni 2014

ADHS macht Abitur

Für Kinder mit ADHS beginnen die größten Schwierigkeiten meist mit dem Schuleintritt. Sie müssen sich in einen Klassenverband von bis zu 30 Schülern unterordnen, viele Stunden stillsitzen und das machen, was der Lehrer sagt. Eine individuelle Betreuung ist im staatlichen Schulsystem nahezu unmöglich. ADHSler haben jedoch eine andere Art zu lernen. Sie müssen für Themen begeistert werden, sich kreativ austoben dürfen und brauchen viel Feedback für ihre Leistungen. Und für die Hyperaktiven unter ihnen spielt außerdem die Bewegung eine große Rolle. Sie bräuchten mehr als zwei Stunden Schulsport pro Woche, um ihre grenzenlose Energie immer wieder ein bisschen abbauen zu können. Nach körperlicher Aktivität können sich ADHSler auch deutlich besser konzentrieren als vorher.

Doch für die Eigenarten von ADHS-Kindern haben leider sehr viele Lehrkräfte an staatlichen Schulen weder Verständnis, noch Zeit oder beides nicht. Dadurch sind Probleme im Schulalltag vorprogrammiert. Einige Lehrer raten den Eltern der "Störenfriede" sogar, sich vom Kinderarzt Tabletten verschreiben zu lassen, damit die Kinder im Unterricht besser funktionieren. Aber ist das wirklich eine gute Lösung?

Für Alessa und Joachim, zwei Schüler aus Baden-Württemberg, gab es zum Glück noch eine bessere. In dem folgenden Video erzählen die beiden von ihren Erfahrungen an staatlichen Schulen und ihrem "Neuanfang" am ersten ADHS-Gymnasium Deutschlands in Esslingen. Jeden Tag nehmen sie weite Wege auf sich, um an dieser Schule eine ganz spezielle Förderung zu erhalten. Dort fühlen sie sich wohl, haben Freunde, verständnisvolle Lehrer und erreichen sehr gute schulische Leistungen. Alles, was sie vorher nicht hatten.



Passend dazu hier noch ein sehr schöner Artikel von Dr. Hans Biegert, in dem er erklärt, worauf es in der Schule am meisten ankommt: Ermutigung, Vertrauen und Einfühlungsvermögen.

Mittwoch, 28. Mai 2014

ADHS wird vererbt

Obwohl es bereits seit vielen Jahren wissenschaftlich abgesichert ist, dass ADHS vererbt wird, gibt es immer noch Kritiker, die das in Frage stellen. Sie geben meist den Eltern die Schuld, wenn ihre Kinder über die Stränge schlagen. Ein harter Vorwurf. 

Dass die Erziehung von Kindern mit ADHS schwierig ist, würde wohl kein Psychiater bestreiten. "Die Erziehungsprobleme sind jedoch als Folge und nicht als Ursache zu sehen", sagt der Diplom-Psychologe Steffen Hieber. Die Tatsache, dass in den meisten Fällen mindestens ein Elternteil selbst betroffen ist, macht ein harmonisches Miteinander nicht unbedingt einfacher. Viele Erwachsene merken sogar erst am Verhalten ihrer ADHS-Kinder, dass sie ihnen früher mal sehr ähnlich waren oder es immer noch sind.

Schon im Jahr 1902 erkannte der Engländer Sir George Still eine mögliche Verebung der Aufmerksamkeitsstörung. Seit den 70er Jahren führten Wissenschaftler dann immer mehr Studien zur ADHS-Ausprägung in Familien und bei eineiigen Zwillingen durch. Seitdem war der genetische Zusammenhang nicht mehr von der Hand zu weisen. Diese Erkenntnis wurde verfestigt, als Forscher in den Achtzigern begannen, die involvierten Gene zu identifizieren.

Genau wie das Symptombild des ADHS ist auch die genetische Grundlage sehr komplex. Forscher schätzen, dass etwa zwei Dutzend verschiedene Gene an der Entstehung von ADHS beteiligt sind. Außerdem gilt es, die Umwelteinflüsse zu entschlüsseln, die auf diese Gene einwirken und damit die Ausprägung des Störungsbildes beeinflussen können.

Auch wenn die detaillierte genetische Entschlüsselung des ADHS die Wissenschaft noch eine Weile in Atem hält, steht dennoch fest: Wer ADHS hat, hat es bereits von Geburt an. Es ist nicht möglich, dass es sich erst im Laufe des Lebens entwickelt.

Die Psychiaterin Prof. Dr. Alexanrda Philipsen sagte im Interview mit der Apotheken Umschau: "Mit einer Erblichkeit von 60 bis 70 Prozent wird kaum eine andere Erkrankung so stark genetisch weitergegeben wie ADHS." Zwar gibt es weitere Faktoren, die die Entstehung von ADHS begünstigen, wie z. B. Schwangerschaftsprobleme, aber die genetische Komponente hat den größten Einfluss.

Dienstag, 27. Mai 2014

ADHS-Kinder: anders, als die meisten sind

Kinder mit ADHS können aus jedem Tag eine neue Herausforderung machen. Viele Eltern, Erzieher und Lehrer wissen das nur all zu gut. Magrit Dietze ist es gelungen, das Ganze in Worte zu fassen - in sehr schöne Worte, wie ich finde. Das folgende Gedicht hat sie 2001 in ihrem Buch Kinder, die anders sind - Gedanken und Gedichte nicht nur für Pflegeeltern veröffentlicht:

Für mein ADHS-Kind

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind.
Doch gerade das macht dich zum Orginal.
Du bist anders, du mein Kind,
bist ein wilder Wirbelwind.

Doch ich nehm dich an und liebe dich total.
Schon am Morgen ziemlich früh,
da sprühst du vor Energie.

Schmeißt vor Lebensfreude alle aus dem Traum.
Warten kannst du nicht, oh nein,
was du willst, muss sofort sein.

Brav und leise sein, so was gelingt dir kaum.
Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...
Quirlig bist du ohne Rast,
und was du begonnen hast,
musst du nicht zu Ende bringen, das ist klar.
 

Denn dir fällt was Neues ein
und auch das muss sofort sein.

Vergessen hast du dabei, das was vorher war.

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...

Ruhig zu sitzen findst du dumm,
und oft schmeißt du etwas um,
weil du in Gedanken wieder ganz woanders bist.

Hosen, Dinge ohne Zahl
gehn kaputt zu meiner Qual.

Zählen kann ich kaum, was du mal wo vergisst.

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...

Wenn dich was Neues intressiert,
bist du gar nicht mehr blockiert.

Bist begeistert bei der Sache ganz und gar.

Doch ist es nicht mehr interessant,
legst du`s ganz schnell aus der Hand,
weil es für dich so kurz nur etwas Neues war.

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...

So viele, die verstehn dich nicht,
denn böse Absicht ist das nicht.

Du hast ein sonniges Gemüt, das weiß ich fest.

Sie meinen du willst so wild sein,
doch glauben wolln sie`s nicht, oh nein,
dass deine Krankheit dich vieles so machen läßt.

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...
Drum lernen wir zusammen nun,
gemeinsam was dagegen tun.

Und Schritt um Schritt wirds besser für uns zwei ein Stück.

Ich lerne immer neu von dir
und du lernst auch etwas von mir.

Alleine sind wir dabei nicht, zu unserm Glück.
Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...

 

Montag, 26. Mai 2014

Kevin Großkreutz – ein unerkannter ADHSler?


Der Dortmunder Kevin Großkreutz gehört ohne Frage zu den Fußballern der besonderen Art. Mit großem Talent und einem noch größeren Willen schaffte er es von der geliebten Südtribüne des BVB bis auf den Rasen zu den Profis. Er glänzte bereits in der Champions League und ließ sich weder von einer gebrochenen Nase noch von einem entzündeten Weisheitszahn aufhalten. Wenn andere längst einpacken würden, bringt Großkreutz noch immer Bestleistungen. Und das Lob vom Trainer wirkt auf ihn mehr als das beste Schmerzmittel

Der 25-Jährige ist emotional und steht dazu. Im Interview mit 11Freunde sagte er: „Wer auf dem Platz keine Emotionen zeigen will, braucht nicht Fußball zu spielen“. Und doch wird ihm genau diese Eigenschaft in letzter Zeit immer wieder zum Verhängnis. Erst vor wenigen Wochen hatte Großkreutz einen Köln-Fan mit einem Döner beworfen, weil der ihn angeblich beleidigt hatte. Ein Strafverfahren wurde eingeleitet. Doch inzwischen folgte bereits der nächste Eklat des Dortmunders nach dem verlorenen DFB-Pokalfinale in Berlin. Er hatte die Niederlage nicht verkraftet, seine Trauer in Alkohol versenkt und sich dann im Hotel daneben benommen. Die Folgen: eine hohe Geldstrafe vom BVB, ernste Worte vom Bundestrainer und, was wohl am längsten nachwirkt, ein schlechtes Bild in der Öffentlichkeit. Das liegt vor allem daran, dass keiner nach den tieferen Ursachen von Großkreutz´ Verhalten fragt.

Oliver Bierhoff (Manager der deutschen Nationalmannschaft) stellte immerhin fest, dass der Dortmunder noch jung sei und lernen müsse, "manchmal sein Temperament, seine Impulsivität, also genau die Eigenschaften, die ihn beim Fußballspielen ausmachen, außerhalb des Feldes besser zu kontrollieren." Aber kann er das alleine überhaupt schaffen? Was ist, wenn dieses Verhalten nicht an seinem Alter sondern an seiner Persönlichkeit liegt?

Immerhin erfüllt Kevin Großkreutz ganz offensichtlich einige ADHS-Kriterien: Er ist über-ehrgeizig, voller Energie, emotional, risikobereit, impulsiv, leicht provozierbar, aber auch sehr sozial. 2013 übernahm er das Amt von Rudi Assauer als ehrenamtlicher Botschafter der Solidarfonds-Stiftung NRW

Sein Vater, Martin Großkreutz, sagt über ihn: „Der Kevin war als Kind schon verrückt.“ Natürlich meint er das nicht böse, sondern beschreibt damit viel mehr, wie vernarrt sein Sohn schon damals in den BVB war. Wenn aber etwas gegen seinen Willen ging, reagierte der junge Fußballer schon damals trotzig. „Wenn früher mal wegen schlechten Wetters das Training ausgefallen ist, hat der Kevin geheult wie ein Schlosshund.“, sagt sein Vater. Dann hätte er sich den Ball genommen und stundenlang allein im Garten gekickt.  

Inzwischen zählt Kevin Großkreutz zu den ganz Großen im deutschen Fußball und wird sehr wahrscheinlich mit zur WM nach Brasilien fahren. Aber vielleicht gehört er nebenbei auch zu den rund 20 Bundesligaspielern mit ADHS, die es bei einer Prävalenz von ca. 5 Prozent mindestens geben müsste.* Dann bräuchte er auf jeden Fall mehr Verständnis und Unterstützung von seinen Mitspielern, Trainern und Betreuern, besonders in heiklen Situationen. Wenn man ihm das gewährt, kann Großkreutz sich wieder voll und ganz auf das konzentrieren, was er am besten kann: Fußball spielen.

* Überschlagsrechnung ausgehend von 23 Spielern pro Team in den 18 Mannschaften der 1. Bundesliga, also 414 Spieler. 

Freitag, 23. Mai 2014

ADHS und Hochbegabung

Ich habe ein sehr schönes Video gefunden, das zeigt, wie nah ADHS und Hochbegabung beieinander liegen. Was aber immer noch häufig fehlt, ist das Verständnis für anders funktionierende Menschen. Statt sie in Schubladen zu stecken, sollten sie gezielt gefördert werden.


ADHS und seine Symptomvielfalt

Viele Menschen verbinden mit ADHS vor allem Unkonzentriertheit, Herumzappeln, Trotzverhalten und Chaos. Doch das sind nur wenige Aspekte des großen Spektrums der typischen ADHS-Verhaltensweisen und kommen längst nicht bei jedem Betroffenen vor. Menschen mit ADHS können sich sehr ähnlich sein, aber auch komplett unterschiedlich. Das ist sowohl von der Persönlichkeit abhängig als auch vom Umfeld und den sogenannten Komorbiditäten. Denn kaum ein ADHSler hat „nur“ ADHS. Viele haben zusätzlich beispielsweise Ängste oder Zwänge entwickelt, die das ADHS-Verhalten abmildern oder sogar komplett ausbremsen. Auch wenn Angst- und Zwangsstörungen per Se nicht schön sind, können sie im Fall von ADHS eine schützende Wirkung haben.

So kann zum Beispiel die Angst vor gefährlichen Situationen, in denen man sich verletzen oder gar sterben könnte, bei Betroffenen dazu führen, dass sie nicht so riskant Autofahren, wie man es sonst häufig von ADHSlern kennt.

Auch die Angst davor, im eigenen Chaos nicht mehr durchzublicken (sei es Papierkram, Klamotten usw.), kann dazu führen, dass ADHSler regelrecht "überordentlich" sind. Viele schaffen sich sogar klare Strukturen, schreiben To-do-Listen, führen sorgfältig einen Terminkalender und erstellen sich eigene Arbeitspakete, um besser zurecht zu kommen. Dieser große Ehrgeiz führt dazu, dass man von außen meinen könnte, sie hätten gar kein ADHS.

So ähnlich ist es mit Betroffenen, die sich immer erst in ihre „perfekte Fassade“ hüllen, bevor sie aus dem Haus gehen. Sie wirken auf andere freundlich, zuvorkommend, einfühlsam und erwecken den Eindruck, als wären sie einer der glücklichsten und ausgeglichensten Menschen der Welt. Nur wer sie genauer kennt, weiß, das so eine Fassade auch ihren Preis hat. Und den muss auch die Familie bzw. die nächsten Angehörigen zahlen. Denn sobald der „perfekt funktionierende ADHS-Fassadenmensch“ wieder in seiner vertrauten Umgebung ist, ist er doch wieder ganz der alte. Launisch, sensibel, kränklich oder auch anders anstrengend... Auf jeden Fall braucht er dann meist jemanden, der sich um ihn kümmert.

Aber zurück zu den „typischen“ ADHS-Verhaltensweisen, von denen jeder Betroffene seine ganz persönliche Mischung hat. Die folgende Tabelle soll zeigen, dass manche Eigenschaften sowohl gute als auch schlechte Seiten haben.


Eigenschaft daran positiv daran negativ
sehr sensibel/emotional großes Einfühlungsvermögen leicht verletzlich
Stimmung schwankt (lässt sich nicht steuern) große Begeisterung und Freude möglich schnell enttäuscht
unfähig, Reize zu filtern bekommt alles mit, gute Beobachtungsgabe leicht ablenkbar, unkonzentriert
kreativ und ideenreich findet für (fast) alles eine Lösung, will vieles optimieren führt kaum etwas zu Ende, weil schon wieder die nächste Idee kommt
„Helfersyndrom“ eigentlich alles aber: kann leicht ausgenutzt werden
spontan sehr flexibel, Improvisationstalent wirft auch mal Dinge zu schnell über den Haufen
risikobereit manchmal nützlich und wichtig mangelnde Gefahreneinschätzung kann schlimme Folgen haben

Und hier noch einige Stärken und Schwächen, die sich dort nicht einordnen lassen:

Stärken:
  • großer Tatendrang, viel Energie
  • ausgeprägter Gerechtigkeitssinn
  • große Zuverlässigkeit in Notsituationen
  • besondere Leistungsfähigkeit im Hyperfokus
  • sehr schnelle Auffassungsgabe
  • oft überdurchschnittliche Intelligenz
  • humorvoll, schlagfertig

Schwächen:
  • oppositionelles Verhalten (aus Prinzip „dagegen sein“)
  • Schwierigkeiten, sich unterzuordnen oder anzupassen
  • impulsives Verhalten, Aggressivität
  • wenig Strukturiertheit, häufig Chaos (z. B. unpünktlich, vergesslich)
  • häufiges Aufschieben unangenehmer Tätigkeiten (z. B. Hausaufgaben, Formulare ausfüllen)
  • geistige und/oder motorische Unruhe (z. B. träumen, grübeln, zappeln)
  • schnell gelangweilt
  • alles persönlich nehmen, schnell beleidigt sein, nicht kritikfähig

Mittwoch, 21. Mai 2014

Die Umgebung ist entscheidend

Auch unsere Nachbarn aus Österreich beschäftigen sich viel mit ADHS. Forscher haben dort zum Beispiel herausgefunden, dass ADHS-Kinder in Kreativitätstests besser abschneiden als andere, weil sie originellere Ideen haben. Besonders wichtig sei für die Kinder eine verständnisvolle und strukturierte Umgebung, damit sie sich positiv entfalten können. Außerdem brauchen sie ganz besonders viel Lob. Hier gehts zum Artikel

Dienstag, 20. Mai 2014

ADHS bringt viel Potenzial mit sich

"Wenn ich heute Kind wäre, würden sie bei mir ADHS diagnostizieren.", sagt kein geringerer als Hollywood-Schauspieler Will Smith. Und damit ist er nur einer von vielen Promis, auf die das zutrifft. Der Pädagoge Gerhard Spitzer ist sich sicher: ADHSler haben eine Menge Potenzial. Sie müssen allerdings lernen, ihre Fähigkeiten im Leben richtig einzusetzen. In seinem Buch "Warum zappelt Philipp?" und im folgenden Artikel erklärt Spitzer sehr einfühlsam, worauf es im Umgang mit ADHS besonders ankommt. Er weiß, wovon er redet, denn er ist selbst betroffen und erfolgreich.

Zum Artikel


Thom Hartmann spricht über ADHS

Der amerikanische Psychotherapeut und Buch-Autor Thom Hartmann spricht im Fernsehinterview über die Entwicklung von ADHS. Sehr anschaulich erläutert er seine Hypothese, dass ADHSler einst die erfolgreichen Jäger unter uns waren. Außerdem geht er auf die extreme Zunahme der Diagnosen in den letzten Jahren ein und kritisiert die massive Behandlung mit Psychopharmaka.

Sein Fazit: Wir müssen die Menschen mit ADHS so annehmen, wie sie sind. Und wenn wir das tun, können wir die Bedingungen in der Schule und am Arbeitsplatz so gestalten, dass es ihnen damit gut geht.

Sonntag, 18. Mai 2014

Das Phänomen ADHS

An dem Begriff ADHS kommt heute kaum noch jemand vorbei. Es ist eine Diagnose, an der Pharmakonzerne verdienen, Eltern verzweifeln, und die von Ärzten nicht selten viel zu schnell gestellt wird. Kritiker haben ihre Freude an der "erfundenen Krankheit", die scheinbar wie ein Virus um sich greift. In den letzten Jahrzehnten haben immer mehr Kinder, Jugendliche und mittlerweile sogar Erwachsene das "Label ADHS" bekommen. Sie fallen auf, stören, können sich nicht unterordnen und sind mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt. Zumindest in unserer heutigen Leistungsgesellschaft.

Doch früher, sehr viel früher war ADHS vermutlich ein evolutionärer Vorteil. Die erfolgreichsten Jäger der Steinzeit trugen die ADHS-Gene in sich und gaben sie an die nächsten Generationen weiter, bis sie letztlich bei uns landeten. Viele Jahrtausende lang hatte die Evolution Zeit, ADHS auszulöschen. Doch dieser außergewöhnliche Persönlichkeitstyp überlebte.

Warum? Weil ADHS auch Vorteile mit sich bringt! Bedeutende Entdecker, Erfinder, Unternehmer, Sportler und Künstler waren bzw. sind betroffen und haben die Entwicklung der Menschheit geprägt und verändert. Aber auch diese positiven Aspekte bergen die Gefahr in sich, dass ADHS-Betroffene, die darunter leiden, nicht ernst genommen werden. Daher ist die Definition als Krankheit im Falle ausreichenden Leidensdruckes auch weiterhin wichtig, um von Staat und Krankenkassen die notwendige Hilfe und Unterstützung bei der Behandlung zu erhalten.

Genau diese Vielschichtigkeit des Phänomens ADHS soll hier dargestellt werden.